Zweite Anmerkung: Rauchen.
Wie schwach die parlamentarische Demokratie in ihrer nicht nur von mir prognostizierten Endphase geworden ist, zeigt sich unter anderem am gnadenlosen Triumph der Banken und dem damit immer deutlicher werdenden Sieg des Lobbyismus über Expertentum und Mehrheitsmeinungen. Und es zeigt sich in der Unfähigkeit des Staates, die eigenen Gesetzte durchzusetzen, zum Beispiel das Nichtraucherschutzgesetz.
Während man also den Staat und seine unfähigen Organe dafür verantwortlich machen kann, das es zumindest in Berlin für einen Nichtraucher nahezu unmöglich ist, eine gepflegte Bierbar zu betreten, ohne Tränen der Verzweiflung in den Augen zu haben, ist die Kunst ja vermeintlich frei und zu gar nichts gezwungen. Die Konsequenzen zeigen sich im Film schon lange wieder: selbst in amerikanischen Filmen, einstmals eine raucherfreie Kunst-Zone, wird bei jeder sich bietenden Gelegenheit gepafft, was das Zeug hält. Wie alles Furchtbare aus dem Land ohne Radwege und Bürgersteige schwappt natürlich auch diese Welle ins deutsche Kunstschaffen und macht nun auch vor den Theatern nicht halt.
Während ich mir aber die Not junger Filmemacher, mit ihren Figuren etwas sinnvolles anzufangen und ihnen darum eine Zigarette in die Hand zu geben, ab und an erklären kann, verstehe ich absolut nicht, wozu die Raucherei im Theater gut sein soll. Im Film sind wir ja in der Großaufnahme ganz nah dran am Schauspieler und die Kamera möchte uns das voyeuristische Vergnügen bieten, das Gesicht von Held oder Heldin genau und möglichst minutenlang betrachten zu können. Und was macht so ein armer Schauspieler, wenn der Regisseur ihn zum wiederholten Mal dazu auffordert, ihm „etwas anzubieten in der Rolle“? Natürlich, er greift zur Fluppe und zeigt damit die Unbeherrschtheit und Getriebenheit der Figur, ihre Wechselhaftigkeit, Abhängigkeit und die fehlende Liebe in der Kindheit… Eben all das, was die Darstellung einer Sucht so über eine Figur aussagen kann.
Das ganze aber nur, weil der Film mindestens 89 Minuten lang werden muss und, wie gesagt, die Kamera gerne mal lange ein Gesicht zeigt, das dann ja irgendwas zu tun haben sollte.
Soweit der Exkurs zum Kino, jetzt aber zum Theater: was soll das immer häufiger werdende Gerauche dort?? Im Theater sind die Figuren ja viel zu weit weg, da bringt das Rauchen weder für die Inszenierungszeit noch für die Konzentration auf die Figur etwas. Die kurze Erleuchtung durch das Aufblitzen des Feuerzeugs könnte sicher auch ein kleiner Scheinwerfer übernehmen, das kann es also nicht sein. Zumindest in einem Fall hatte ich den deutlichen Eindruck, das der Schauspieler einfach ein solcher Hardcore-Rauchfan ist, das er die vom Regisseur Roland Schimmelpfennig verordnete zweistündige Anwesenheitspflicht auf der Bühne nicht anders ausgehalten hätte. Jedenfalls hat der „kräftige Mann“ in Die vier Himmelsrichtungen zwei Zigaretten im hinteren, extra dunklen Teil der Bühne geraucht und dabei außer mit dem sich langsam ausbreitenden Geruch nur mit dem Aufflammen des Feuerzeugs bzw. dem gerade nicht funktionierenden Feuerzeug Aufmerksamkeitspunkte bekommen. Mit dem Stück oder der Figur hatte das aber meiner bescheidenen Meinung nach rein gar nichts zu tun.
Möglich wäre es natürlich auch, das die Theaterschaffenden das Rauchen als provokativen Akt ansehen oder damit gar die Freiheit ihrer Kunst betonen wollen. Nachdem mir aber glaubhaft von Raucherhauben an den Wänden durchdesignter Büroanlagen berichtet wurde, die in der Art von umgekehrten Lockenhauben den bösen Rauch direkt auf der Büroetage absaugen, vermutlich um den uneffektiven Gang der Suchtgeplagten ins Freie zu vermeiden, denke ich das Trinkstationen, die die heutzutage unmenschlich vernachlässigten Trinker im Büro oder Theater mit kurzen Gin- oder Jägermeister-Shots bedienen könnten, die wahre Provokation sein würden.
Um hier jetzt nicht als Spaßverderber, Kunstverächter oder gar Moralapostel rüberzukommen, gilt natürlich weiterhin: hingehen und kräftig durchatmen!
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