Theater

11 | Eine Anmerkung zum modernen Theater

im Thema

Erste Anmerkung: Schüsse.

Während das herumhantieren mit geladenen Schreckschusspistolen im wirklichen Leben eher selten vorkommt, ist es im Theater von heute gang und gäbe. Auf der Bühne wird die ultimative Botschaft eines durchschlagkräftigen Revolvers meist verwendet, um die tiefe Verzweiflung einer Hauptfigur darzustellen. Wer mit der Waffe Selbstmord oder Mord androht, steht mit dem Rücken zur Wand und hat in dieser Welt keine Lösung für sein Problem gefunden. Vermutlich wird die Waffe von den Theatermachern auch deshalb so gerne eingesetzt, weil sie mit der Absolutheit ihrer Aussage in unserer, mit unverfänglichen Kommunikationsmitteln überreich gesegneten Gegenwart einen erfrischend endgültigen Kontrapunkt setzt.

Dagegen ist nichts zu sagen, wohl aber gegen die Lautstärke, mit der Theaterschreckschuss- pistolen schießen müssen! Ich bin ja selbst ein bekennender Freund kraftvoller Rockmusik und insofern auch größeren Lautstärken gegenüber nicht prinzipiell abgeneigt. Aber was da heutzutage im Theater abgeht, erfüllt leider immer häufiger den Tatbestand der Körperverletzung, sind doch kurze Knallgeräusche tatsächlich das schlimmste, was man seinem Ohr antun kann. Und Knallen tut es im Theater extrem, es herrscht ja meist angespannte Ruhe und Konzentration auf die Stimmen der Schauspieler, das Ohr ist also offen und häufig total überrascht von der Heftigkeit des Schusses.

Während im Film auch der lauteste Schuss das Gesamtniveau der Tonmischung schon aus physikalischen Gründen nicht sprengen kann – er würde dann ja einfach verzerren und den Tonmischer seinen Job kosten – sind im Theater entweder nur berufsbedingt Gehörgeschädigte in den Proben oder es wird einfach nicht scharf geschossen, bevor die Zuschauer im Saal sind, anders kann ich mir den Lärm nicht erklären.

Beispiele für diese Lärmattakten gibt es reichlich:

  • Neun oder zehn Schüsse in der aktuellen Inszenierung von „Die schmutzigen Hände“ im DT, alle auch in der siebzehnten Reihe noch so laut, das Schauspieler und Beleuchter, die auf oder um die Bühne herum beschäftigt sind, garantiert einen Hörschaden haben müssen.
  • Einsamer Höhepunkt war „Nora“ an der Schaubühne: schmerzhaft schon der Schuss, mit dem Nora, die „göttliche“ Anne Tismer, ihren Mann in das mannshohe Aquarium beförderte, aber indiskutabel brachial waren dann auch noch die Musikeinsätze: eine Lautstärke, die ich selbst auf eher heftigen Stonerrock-Events nicht erlebt habe. Ich kann mir das nur so erklären, dass die Mischtonmeister ihren Kopfhörerausgang schön herunter geregelt haben und annehmen, es ist alles ganz normal und die Schauspieler das aushalten, weil die heute ja zum Inventar moderne Theaterarbeit gehörenden Boxen ausschließlich in den Zuschauerraum gerichtet sind. Vermutlich merkt das also gar keiner…
  • Nicht schlecht ist es auch, wenn ein als Zuschauer getarnter, verdeckt arbeitender Schauspieler plötzlich direkt neben dir aufsteht und seinen elend langen Monolog so in den Theaterraum hinein brüllt, das auch seine Freundin in der Garderobe noch etwas davon hat. So geschehen bei „Berlin Alexanderplatz“, wiederum an der Schaubühne.

 

Was aber nicht heißen soll, dass nicht alle drei Inszenierungen großartige Theatererlebnisse sind: Nora habe ich zweimal gesehen, Berlin Alexanderplatz ist gerade Aufgrund des Chors ehemaliger Strafgefangener, die sich immer wieder unter die Zuschauer mischen, überaus beeindruckend und „Die schmerzhaften Hände“ befasst sich mit großartigen Einzelleistungen und sehenswerter Bühnengestaltung mit unser aller Lebenstrauma: der unwiederbringlichen Abwesenheit von Utopien.

Ich rate also zu, wenn auch mit Ohrstöpseln…


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