HDR Fotografie von Matera, Italien

10 | Virtuelle Welt, ganz real

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Es ist offensichtlich ein internationales Phänomen, das heute dem Nahverkehr nur wenig Vertrauen entgegengebracht wird. Obwohl bei uns und überall Busse und Bahnen bis nach Hintertupfingen fahren, traut der gewöhnliche Automobilist diesem teuer erkauften Angebot seiner Kommune nicht über den Weg. Busse sind etwas für Rentner und Schüler, die dazwischen liegende Zielgruppe der 18 bis 78-jährigen ist offenbar viel zu rebellisch, um sich nach vorgegebenen Fahrzeiten zu richten.

Darum wird immer und überall fleißig gestaunt, wenn man mit öffentlichen Verkehrsmitteln anreisen möchte. Das geht unterschiedlich weit: Familie und Freunde starten sogleich Rettungsversuche, natürlich mit motorisierten Individualfahrzeugen, Fremde üben sich in anteilnehmendem Bedauern.
Lassen wir die Familie mal beiseite, im Grunde waren sie ja dann doch ganz froh, das wir den Geburtstagstrubel nicht mit einer organisierten Abholung noch verstärkt haben, und kommen gleich zu den Freunden: die leben jetzt schon seit wer weiß wie lang auf dem Dorf vor einer mitteldeutschen Mittelgroßstadt und kennen tatsächlich die hypermoderne Niederflurbahn nicht, mit der sie das hinter einer kleinen Wiese liegende Nachbardorf bequem erreichen könnten! Das bewundernde Staunen der erwachsenen Familienmitglieder über diese neue Welt hielt aber nur kurz an, dem Homo Vorstadtus ist sie offensichtlich doch zu suspekt – das Bewustsein fürs Kollektiv ist ja heutzutage überall am Schwinden…

Jetzt aber zum internationalen Beispiel: in die oben abgebildete Kleinstadt sollte es auch per öffentlicher Verkehrsmittel gehen. Die Segnung des Internets hatte auch spät Nachts noch einen Anschlußbus von der im Tal liegenden Bahnstation in das 40 Kilometer entfernt, in den Bergen liegende Städtchen Matera angezeigt. Die annähernde Zugfahrt wurde dann von einem SMS-Bobardement unsere jungen B&B-Gastgeber recht unterhaltsam gestaltet: Sie konnten unserem Hinweis auf die vorhandene Busverbindung einfach keinen Glauben schenken, vermutlich, weil sie selbst in ihrem Ort noch niemals Bus gefahren sind. Nachdem uns eine vierzig Euro teure Taxifahrt als einzige Lösung in Aussicht gestellt wurde, sind auch wir etwas nervös geworden: was wissen wir den von der Moral italienischer Busplaner??
Sie ist ausgezeichnet! Natürlich hat am Bahnhof ein dort frisch eingesetzter Bus auf die Reisenden gewartet: und zwar auf uns. Wir waren die einzigen Gäste in einem mit mehr als 80 Plätzen überdimensionierten Oldtimer und wurden von einem wortkargen, aber pflichtbewußten Busfahrer in die Berge chauffiert.

Überall also das gleiche Bild: wenn man die Hauptbewegungszeiten von Rentnern und Schülern meidet, kommt man bequem und günstig überall hin – die Fahrt in Italien hat tatsächlich zwei Euro und vier Cent gekostet – für zwei Personen, versteht sich…

 

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Das Bild zeigt das ganz reale, sehr gut mit Bahn und Bus zu erreichende italienische Städtchen Matera. Rechts eine der zwei, in die natürlichen Höhlen dieser Täler hineingebauten Altstadtteile und links das weitgehend unbewohnte Hochland. Auch das eine HDR-Aufnahmen, diesmal aber mit Stativ und, hoffentlich, nicht zu starkt „entwickelt“…


Kommentare

2 Antworten zu „10 | Virtuelle Welt, ganz real“

  1. Wunderbar! Auch ich war schon mit den öffentlichen Verkehrsmitteln bis nach Matera gereist. Am Bahnhof fragte ich nach der Haltestelle und bekam als trockene Antwort: „Là, fuori da qualche pare! Ma quando parte non si sa mai!“ Es ist überall möglich mit den Öffentlichen zu reisen und man kommt immer an und erlebt dabei mehr als mit dem Auto. Danke für den Blog! :-)

  2. Hallo Gerard,
    vielen Dank für den Kommentar! Schön, das es doch einige Unverdrossene gibt, die die wahren Erungenschaften unserer modernen Überflussgesellschaft zu nutzen wissen. In der abgekapselten Welt der Mietwagen kommt heute ja dank Navigationsgerät nicht einmal mehr die Frage nach dem Weg vor… Da kann einem der öffentliche Urlaub tatsächlich die Welt ganz anders, und besonders viel kommunikativer zeigen. Daumen raus uns los, würde ich sagen.. :-)

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